Autismus beschreibt einen Symptomkomplex an neurologischen Besonderheiten, der in mehrere Formen unterteilt wird. In der medizinischen Fachsprache werden die Symptome unter dem Begriff Autismus-Spektrum-Störung, kurz ASS, zusammengefasst. Diese Entwicklungsstörungen betreffen Menschen jeder Altersgruppe, wobei erste Hinweise auf das Vorliegen der Erkrankung meist bereits im frühen Kleinkindalter feststellbar sind. Da Autismus abhängig von der Ausprägung mit teilweise erheblichen Schwierigkeiten im sozialen Umgang, in der Kommunikation und der Wahrnehmung eingehen kann, wird Autismus heute als geistige Behinderung definiert.
Häufigkeit und Verbreitung
Autistische Störungen zählen in den westlichen Industrienationen zu den häufigsten geistigen Behinderungen, wobei in Zusammenhang auf die Häufigkeit regionale Unterschiede feststellbar sind. Untersuchungen in den Vereinigten Staaten haben ergeben, dass die Anzahl der Autismus-Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten stark und kontinuierlich gestiegen sind, wobei die Wissenschaftler dafür bis jetzt keine Erklärung formulieren konnten. Insbesondere nach der Jahrtausendwende wurde eine ständige Zunahme von Autismus-Diagnosen beobachtet. Allerdings ist dies zumindest teilweise auf deutlich bessere Diagnoseverfahren, eine Verbreiterung der Definition des Symptomkomplexes, eine zunehmende Aufmerksamkeit der Eltern sowie im Rahmen stattlicher Programme regelmäßig durchgeführte kinderärztliche Untersuchungen in den ersten Lebensjahren zurückzuführen.
Analysen in den USA ergaben, dass heute über drei Prozent aller Kinder mit einer Störung des autistischen Spektrums diagnostiziert werden. Jungen sind mit bis zu 3,3 Prozent deutlich häufiger betroffen als Mädchen, wobei das Verhältnis der Geschlechterverteilung nicht präzise festgelegt werden kann. Da eine Autismus-Diagnose stark von den Lebensumständen der Betroffenen und der Ausprägung der Symptome abhängt, können im Rahmen von Studien ermittelte Angaben über die Prävalenz der ASS in keinem Fall als eindeutig bewertet werden.
Anzeichen und Symptome von Autismus
Abhängig von der Form der Entwicklungsstörung können die ersten Anzeichen bereits im Säuglings- und Kleinkindalter festgestellt werden. Babys, die einen frühkindlichen Autismus entwickeln, zeigen oft erhebliche Probleme beim Stillen oder verweigern sogar die mütterliche Brust. Viele Eltern vermuten eine autistische Störung oder sind besorgt, wenn der Säugling in einem Alter von sechs bis acht Monaten Blickkontakt vermeidet und das soziale Lächeln, das gesunde Babys ab einem Alter von etwa vier Monaten erstmals zeigen, ausbleibt.
Im Kleinkindalter kommen als mögliche Anzeichen das Fehlen der Lautsprache, später des Spracherwerbs, die Verweigerung von Körperkontakt und das Desinteresse anderen Kindern gegenüber hinzu. Allerdings sind diese ersten Auffälligkeiten nicht automatisch als Anzeichen eines Autismus zu bewerten, sondern können im Einzelfall auch bei gesunden Kindern als Entwicklungsverzögerung auftreten. Gleichzeitig ist es möglich, dass ein Kind, bei dem später eine autistische Störung diagnostiziert wird, im Baby- und Kleinkindalter keinerlei Verhaltensauffälligkeiten zeigt.
Formen und Symptome autistischer Störungen
Abhängig von der Ausprägung der neurologischen Besonderheiten werden mehrere Formen von Autismus unterschieden. Allen Formen gemeinsam sind Schwierigkeiten oder Einschränkungen in der sozialen Kommunikation, Interaktion und Verständnis, eine veränderte Wahrnehmungsverarbeitung, ungewöhnliche oder spezielle Denkweisen, Interessen und Problemlösungen sowie ein ausgeprägtes Bedürfnis nach einem von strenger Routine geprägten Alltag. Viele Betroffenen zeigen atypische Bewegungsabläufe, die oft von ständigen Wiederholungen derselben Tätigkeiten geprägt sind.
Die Bezeichnung „Autismus-Spektrum“ bezieht sich auf die Tatsache, dass es bei der Ausprägung der Störung enorme Unterschiede im Verhalten geben kann. Während manche Betroffene nur leichte und von unwissenden Mitmenschen kaum wahrnehmbare Symptome zeigen, sind andere stark behindert und nicht fähig, ihren Alltag ohne intensive Betreuung zu meistern.
Beim sogenannten Kanner-Syndrom oder frühkindlichen Autismus, der bereits im Baby- oder Kleinkindalter, meist vor dem 3. Geburtstag auffällt, wird abhängig von der Intelligenz der Betroffenen zwischen dem Low Functioning Autismus (LFA) und dem High functioning Autismus (HFA) unterschieden. Beiden Ausprägungen dieser Form sind die oben genannten Symptome in Bezug auf soziale Interaktion, Sprachentwicklung und atypischem Verhalten gemeinsam. Auch das Asperger-Syndrom macht sich oft bereits im Kleinkindalter bemerkbar, ist jedoch durch eine frühe und oft beeindruckende Sprachentwicklung gekennzeichnet. Bei Asperger-Patienten werden meist eine normale Intelligenz und gleichzeitig speziell ausgeprägte Interessen festgestellt. Menschen mit Asperger zeigen jedoch ebenfalls die mit Autismus assoziierten Probleme in der sozialen und emotionalen Interaktion.
Der atypische Autismus hingegen wird in vielen Fällen deutlich später, bisweilen sogar erst im Teenager- oder Erwachsenenalter, diagnostiziert. Diese Form geht nicht zwingend mit den typischen Symptomen einher und kann durch eine niedrige, normale oder auffallend hohe Intelligenz gekennzeichnet sein. Eine Sonderform innerhalb der neurologischen Entwicklungsstörungen, die allerdings per se nicht dem Autismus-Spektrum zugeordnet ist, bezeichnet das Savant-Syndrom. Dabei handelt es sich um die sogenannte Inselbegabung, die mit ungewöhnlich eindrucksvollen Leistungen in bestimmten Bereichen einhergehen kann. Da etwa die Hälfte aller Menschen mit Inselbegabung Autisten sind, wird das Savant-Syndrom häufig im Zusammenhang mit den ASS genannt. Allerdings fällt andersherum nur ein geringer Prozentsatz aller Autisten durch eine ausgeprägte Inselbegabung auf.
Mögliche Ursachen von autistischen Störungen
Trotz intensiver jahrzehntelanger wissenschaftlicher Forschungsarbeit auf internationaler Ebene sind die genauen Ursachen von Autismus bis heute nicht eindeutig definiert. Da familiäre Häufungen beobachtet werden, dürften genetische Faktoren eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der Störung spielen. Kinder, deren Mutter oder Vater Autist ist, tragen ein signifikant erhöhtes Risiko in sich, ebenfalls typische Symptome zu zeigen, die dem autistischen Spektrum zugeordnet werden. Für eine genetische Disposition als Hauptursache von Autismus spricht auch die Tatsache, dass die Erkrankung bei eineiigen Zwillingen in den meisten Fällen beide Kinder betrifft. Da jedoch auch Ausnahmen beobachtet werden, nehmen Wissenschaftler an, dass auch andere Faktoren wie etwa das Geburtsgewicht, Umwelteinflüsse und individuelle epigenetische Modifikationen als Ursachen infrage kommen.
Langzeitstudien haben gezeigt, dass das Alter des Vaters zum Zeitpunkt der Zeugung auf das Autismus-Risiko des Kindes Einfluss nimmt. Demnach wurden höhere Raten von autistischen Störungen bei Kindern älterer Väter festgestellt. Andere Studien ergaben, dass sich auch ein höheres Alter der Mutter auf die Entwicklung der Störung auswirken kann. Wissenschaftler machen damit zusammenhängende Genmutationen oder epigenetische Modifikationen dafür verantwortlich.
Auch der Verlauf der Schwangerschaft übt einen wichtigen Einfluss auf die neurologische Entwicklung des Fötus, weshalb auch pränatale Einflüsse als wichtige Ursachen von Autismus diskutiert werden. Seit einigen Jahrzehnten vermuten Wissenschaftler, dass bakterielle und virale Infektionen der Mutter im ersten und zweiten Schwangerschaftsdrittel ein erhöhtes Autismus-Risiko des Ungeborenen bedingen. Als weitere mögliche pränatale Risikofaktoren gelten Diabetes mellitus der Mutter, Frühgeburt und Lungenfunktionsstörungen bei Kindern, die termingerecht geboren werden.
Während Rauchen und Alkoholkonsum sowie psychische Belastung der Schwangeren keinerlei Einfluss auf das Autismus-Risiko zu haben scheinen, konnte die mütterliche Einnahme verschiedener Arzneistoffe während der Schwangerschaft als mögliche Ursache definiert werden. Dies gilt vor allem für Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und Antiepileptika. Manche Studienergebnisse weisen darauf hin, dass auch die mütterliche Einnahme von Paracetamol, das in einer Vielzahl herkömmlicher Schmerz- und Grippemittel enthalten ist, dazu führen kann, dass das Kind eine Störung des autistischen Spektrums entwickelt.
Aktuelle Erkenntnisse über die Ursachen von Autismus
Neueste wissenschaftliche Untersuchungen weisen darauf hin, dass ein Vitamin-D-Mangel der Schwangeren als mögliche Ursache von kindlichem Autismus infrage kommt. Mediziner in den Vereinigten Staaten haben im Zuge intensiver Studien herausgefunden, dass Autismus unter Menschen mit dunkler Hautfarbe, die den nördlichen Bundesstaaten leben, unverhältnismäßig weiter verbreitet ist als im Süden der USA. Dies lässt darauf schließen, dass dunkelhäutige Mütter während der Schwangerschaft in nördlichen Regionen durch die geringe Sonnenexposition zu geringe Mengen an Vitamin D bilden und sich dieser Mangel auf die neurologische Entwicklung des Fötus auswirkt.
Durch die Forschungsarbeit US-amerikanischer Ärzte konnte in den letzten Jahren ein weiterer Faktor definiert werden, der für die Entstehung der Störung hauptverantwortlich sein könnte. Bei vielen Kindern mit Autismus kann neben einem offenbar schwangerschaftsinduzierten Mangel an Vitamin D auch ein auffallend niedriger Spiegel bestimmter Proteine im Blut nachgewiesen werden. Eine zentrale Rolle spielen dabei das Eiweiß Parvalbumin sowie Peptidhormone, die unter der Bezeichnung Insulin-like growth factors oder IGF zusammengefasst sind. Parvalbumin ist für die Übertragung von Signalen zwischen den Gehirnzellen verantwortlich und beeinflusst maßgeblich die Kommunikationsfähigkeit und das Sozialverhalten.
Ein Mangel an IGF 1, das das Wachstum der Zellen anregt, könnte Gary Steinmann, einem Wissenschaftler aus New York zufolge, die Entwicklung des Gehirns von Babys und Kleinkindern beeinträchtigen und dadurch die Wahrscheinlichkeit für eine autistische Störung erhöhen. Da Babys dieses Peptidhormon über die Muttermilch aufnehmen, weist Steinmann darauf hin, dass die Ernährung des Säuglings mit Flaschenmilch ebenfalls als Risikofaktor in Betracht gezogen werden muss. Dies lässt darauf schließen, dass langes Stillen von Babys und Kleinkindern, deren Nabelschnurblut zum Zeitpunkt der Geburt niedrige Werte des IGF1 aufweist, die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer autistischen Störung reduzieren könnte.
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